23. März 2015

Über Entbindungen, Glückstage und Dankbarkeit

Heute vor 10 Jahren war ein großer Freudentag, denn Herr Sohnemann wurde geboren und machte unsere Familie komplett.

Dieser kleine Junge kam zu uns, und sorgte erst einmal für Wirbel und Verunsicherung, denn nur wenige Stunden nach der Entbindung wurde er mit einem Rettungswagen in die Kinderklinik verlegt. 

Zu diesem Zeitpunkt wussten wir nur, dass etwas mit dem Baby nicht stimmt... die Blutwerte seien nicht wie sie sollten...
Ich unterzeichnete in Windeseile meine Entlassungspapiere und folgte dem Kleinen zusammen mit seinem Vater im eigenen PKW quer durch München. Bis heute kann ich kaum in Worte fassen, wie ich mich während dieser Fahrt durch die Stadt fühlte. Ich hatte eiskalte Finger vor Sorge und Beklemmung, das weiß ich noch.

In der Kinderklinik bekam ich ein Feldbett im Zimmer unseres Babys aufgestellt. Das Kind, das mittlerweile knallgelb angelaufen war, musste rund um die Uhr mit einer speziellen Lampe bestrahlt werden, und lag dafür unbekleidet und mit Schutzbrille in einem Glaskasten. Es weinte durchgehend, doch ich durfte nicht einmal das Händchen halten, da die Haut möglichst flächendeckend bestrahlt werden sollte. Also saß ich stundenlang vor dem Glaskasten und weinte mit.

Starke Nachwehen, Sorge um das Neugeborene, und Heimweh nach Geborgenheit in den eigenen vier Wänden ließen schon nach wenigen Tagen die Muttermilch versiegen... dennoch versuchte ich drei weitere Wochen mithilfe einer Milchpumpe alles im Fluss zu halten und den Kleinen zu stillen. 
Wir waren bereits wieder zu Hause, als mir der Kinderarzt streng ins Gewissen redete, dass ich umgehend Babynahrung zu besorgen hätte.

Weitere Tränen, Gefühle des Versagens und der Überforderung, und eine kleine große Schwester (sie ist nur 23 Monate älter), die mit der Aufmerksamkeit, die ihrem Brüderchen zuteil wurde, nicht umgehen konnte.

Ja, die Anfangszeit mit Herrn Sohemann und dem Tochterkind war weder schillernd, noch glückseelig.

*****

Rückblickend betrachtet hatten wir eben einen holprigen Start. Es gibt weitaus Schlimmeres, da möchte ich mir gar nichts vormachen.

Nun wissen wir seit 10 Jahren, dass Herr Sohnemann an einer genetisch bedingten Blutkrankheit mit dem wohlklingenden Namen "Kugelzellenanämie" leidet. Wobei gleich gesagt sei, dass er überhaupt nicht leidet, sonder ganz fidel vor sich hinlebt damit!

Es gibt allerdings einige Dinge, die sind nun mal, wie sie sind.

Er ist zum Beispiel immer sehr blass, gelegentlich auch richtig gelb, wenn es ihm nicht gut geht.
Es fehlt im die Kondition, um mit Freunden im Verein Fussball zu spielen... er könnte schon, aber es kommt dabei nicht zu Ballkontakt.

Dennoch, er darf tun, worauf er Lust hat, solange er lernt, auf die Signale und Grenzen seines Körpers zu hören. Er fährt begeistert Ski, er schwimmt und taucht wie ein kleiner Wassermann, er springt mit seiner Schwester auf dem Trampolin, fährt Fahrrad, Schlittschuh, Inliners und Roller und liebt sogar den Schulsport.

Einmal im Jahr fahren wir nach München und lassen seine Blutwerte kontrollieren. So manches Mal saßen wir bei starken Fieberschüben auch des Nachts mit dem Kind in der Notaufnahme...bisher gab es keinen Anlass zur Bluttransfusion - toi-toi-toi!

Da seine Milz doppelt so groß ist, wie bei gleichaltrigen Kindern, muss er regelmässig zur Bauch-Sonographie. Es besteht die frühzeitige Gefahr von Gries- und Steinbildung (Gallensteine, Nierensteine usw). Bisher war nix - toi-toi-toi!

Einem Kugelzellenanämie-Kind muss früher oder später ein Großteil der Milz entfernt werden, um die Blutwerte dauerhaft stabilisieren zu können. Angeblich verbessert dieser Eingriff die Lebensqualität der kleinen Patienten nachhaltig. Uns wurde mittlerweile angeraten, über eine Operation nachzudenken - wir denken noch.

Weitere Gespräche erfolgen hierzu im April.

*****

Mir ist es all die Jahre immer wichtig gewesen, dem Kind niemals das Gefühl zu vermitteln, krank zu sein. Er ist nicht "krank". Er hat nur eigenwilliges Blut.
Wir haben ihm beigebracht, dass es wichtig ist, gut auf sich acht zu geben. Dass es toll ist, wenn er tagsüber richtig viel trinkt, damit der Körper gut durchgespült wird. Ob er genügend trinkt, kann man wunderbar an seinen Augen ablesen, die sofort gelb und trüb werden, wenn Flüssigkeit fehlt.
Er kennt das, ist extrem kooperativ.
Ich sage: "Kind, du solltest etwas trinken."
Er geht in die Küche, und trinkt zwei Becher Saftschorle - kein Thema.

*****

Heute feierten wir seinen 10.Geburtstag.
Wir feierten fröhlich und ausgelassen - wie ein Kindergeburtstag nun mal sein sollte.

Und ganz im Stillen, da feiere ich das kleine Wunder, das ich jeden Tag in seinen Augen sehe. Das zarte, blitzgescheite Wesen, das so viele Fragen hat und so viel wissen möchte.
Ein kleines Kerlchen mit großem Herz und Verstand - ich feiere schon jetzt diesen großartigen Menschen, der er ist.
Und während ich vorhin diesen Text hier schrieb,
brachte meine jüngste Schwester in Berlin ihren Sohn zur Welt.

Man stelle sich das vor! Genau am selben Tag, nur 10 Jahre später!
Ich bin unfassbar glücklich heute Abend!
Fräulein Tochter hatte heute früher Schule aus und überraschte ihren kleinen Bruder am Nachmittag mit einem selbstgebackenen Geburtstagskuchen. Sie hatte extra dafür vom Taschengeld kleine, bunte Kerzen besorgt, die er feierlich auspusten durfte.

Wer Kinder hat, wird wissen, dass das Thema "Wer darf die Kerze ausblasen" unter Umständen einen richtigen Geschwister-Zank hervorrufen kann. Umso großzügiger ist die Geste, ihrem kleinen Bruder 10 Kerzen zu entzünden, die er ALLE ALLEINE auspusten darf!

12 Kommentare:

  1. Danke für diesen wundervollen Post! Eine dicke Umarmung aus Oberammergau von Gabi

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  2. Nachträglich alles Gute zum Geburtstag dem jungen Herrn und ein Willkommen dem neuen Erdenbürger. Das ist ja schön. Ich und mein Herr Bruder habe auch am gleichen Tag Geburtstag, nur mit sechs Jahren Unterschied ;-)
    Du hast den Geburtstagsartikel ganz toll und liebevoll geschrieben. Danke Frau Papagena für das Teilen mit uns.

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  3. herzliche, nachträgliche Geburtstagsglückwünsche an deinen Jungen und ein herzliches Willkommen deinem Neffen! der 23.3. ist ein besonderer Tag, seh ich auch so......:-)
    Unser zweites Kind lag auch mehrere Wochen auf Intensiv......kann dir gut nachfühlen( und sie backt heute Morgen einen Kuchen für ihren Freund)
    Das "eigenwillige" Blut hat bei uns aber Kind5 mit Diabetes.
    Jetzt kann der Frühling jedenfalls kommen, liebe Grüße von Sanne

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  4. guten Morgen,habe gerade deinen Post gelesen,und es berührt einen sehr. Mein Sohn wurde gestern 30 Jahre jung,und da geht einem auch viel im Kopf herum ,wie schnell die Zeit vergeht,und wie dumm man ist,wenn man sich über unnötige Sachen aufregt und das Wichtige manchmal übersieht...wünsche euch einen wunderschönnen Tag und liebe Grüße,Johanna

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  5. Ich wünsch Euch einen superschönen Geburtstag, dem jungen Mann alles Gute und dem neuen Erdenbürger ebenso alles Glück der Erde.

    LG
    Annette

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  6. Liebste Papagena,

    Alles Gute und Liebe für den wunderbaren 10jährigen!!!!!

    Dem neuen Erdenbürger herzlich Willkommen!

    Wie immer herzlichst
    Gabriella

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  7. Hallo Du Liebe,
    hab Dir eine Mail geschickt.

    LG,
    Sonja

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  8. Liebe Papagena,
    danke für den sehr berührenden Post !
    Alles Liebe zum Geburtstag des Sohnenmanns und dem neuen Erdenbürger alles Liebe !
    Feiert schön, Liebe Grüße,
    Birgit

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  9. Lasst Euch drücken! Ich freue mich mit Euch und doch bin ich unendlich traurig, da wir das Glück nicht hatten!

    Freut Euch trotzdem oder gerade weil! Alles, alles Liebe LOLO

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  10. Hui ... - was für ein schöner Post. Habe fast ein bisschen mitgeweint beim Lesen Eures holprigen Starts. Wie schön, dass es gut ausgegangen ist und wie schön, dass der Sohnemann so lebensfroh und kooperativ ist. Herzlichen Glückwunsch dem Sohn zu seinem Geburtstag und Deiner Schwester zur Geburt ihres Babys.

    Wir haben uns früher bei unseren Kindern übrigens FÜR jegliche angeratene Operation entschieden (nicht so gravierende OPs wie eine halbe Milz weniger allerdings) und sind im Nachhinein damit sehr zufrieden.

    Alles Gute weiterhin für Euch alle!
    LG
    Gunda
    Hauptsache warme Füße!

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  11. Liebe Papagena, das mit dem eigenwilligen Blut finde ich einfach klasse. Tolle Einstellung! Die meisten wären in eine ungute Opferhaltung geraten. Ein rauschendes Fest wünsche ich euch und dass sich auch die Eltern an so einem Tag mal kräftig feiern. Liebe Grüße, Uta

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